25. SONNTAG IM JAHRESKREIS

Erntedankfest

Gedanken zum Erntedankfest

„Seid fruchtbar!“ heißt es in der Bibel. Aber nie wird gesagt: „Seid erfolgreich!“ „Erfolg ist kein Name Gottes“, schrieb Martin Buber. Früchte trägt der Baum, nicht Erfolge. Wir reden über Erfolg und meinen das Ergebnis unserer Leistung. Frucht wächst aus den Mühen des Gärtners, aber auch durch den Segen Gottes. Der Bauer pflügt und düngt seinen Acker. Die Ernte aber hat viele Bedingungen, die der Bauer selbst nicht schaffen kann: Regen zur rechten Zeit und Sonnenschein. Jeder Obstbaum zum Beispiel lehrt uns, demütig zu sein. Er hat oft erfahren, dass im Herbst seine Äste leer in die Luft ragten. Der Frost hat seine Blüten vernichtet, die Insekten haben seine Früchte zerstochen, die Sonne hat aus dem Boden die letzte Feuchtigkeit gezogen. Der Baum lehrt uns, dass seine Früchte nicht nur eigene Erfolge sind, sondern Geschenke des Himmels. Früchte trägt die Erde, nicht Erfolge

Diese Grunderkenntnis brachte viele alten Völker - auch die Israeliten im Alten Testament – dazu, die ersten Früchte ihrer Ernte Gott, dem Herrn, zu schenken. Im Buch Numeri heißt es: „Von allem, was es in ihrem Land gibt, gehören dir (Gott) die Erstlingsfrüchte, die sie dir bringen“ (Num 18,13). Auch die Erstgeburt trugen sie in den Tempel und weihten das Kind dem Herrn, wie wir es auch von Jesus erfahren (Lk 2,22).

In vielen Kirchen stellt man zum Erntedankfest die Früchte des Feldes, Obst und Gemüse aus dem Garten, Blumen und Kräuter vor den Altar. Und auf den Altar legen wir Brot und Wein. „Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit“ – so sprechen wir dann im Gabengebet. Brot und Wein erhalten eine Würde und Anerkennung, die Getreidebörse und Weinkeller nicht geben können.

Wir sprechen vom Erfolg und meinen das Ergebnis unserer eigenen Leistung. Wir sind stolz auf unsere Erfolge, unsere Leistungen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Aber was machen die vielen, die mit „leeren Händen“ dastehen?

Heutzutage haben wir ungeahnte Möglichkeiten. Unser technisches Können ist unglaublich. Wir können fast alles. Wie lange wird es noch dauern, bis der Mensch in einem Labor selbst Leben schafft?

Was ist das Faszinierende der Elektronik und der elektronischen Spiele (nicht nur) unserer Kinder? Sie geben uns das Gefühl, dass wir ungeheuer stark und mächtig sind: Nur ein Knopfdruck und am Bildschirm geschieht, was ich möchte. Ich habe das Gefühl Macht auszuüben. Viele vergessen, dass sie sich nur in einer künstlichen, „virtuellen“ Welt befinden und leiden dann an Wirklichkeitsverlust.

Der moderne Mensch ist versucht zu meinen, er wäre gar nicht abhängig, er kann alles selbst, er braucht niemanden. Deswegen zieht er sich in seine eigene Wohnung zurück. Deswegen gibt es auch so wenig Dankbarkeit unter den Menschen. Denn: Danken? Wofür? Dankbarkeit wird sogar als Schwäche betrachtet. Aber dankbar sein heißt: Sich dessen bewusst sein, dass man (fast alles) anderen verdankt. Was man ist und was man hat. Ja sogar das eigene Leben.

Ein Dichter hat es so formuliert:
So reich waren wir noch nie wie heute – so habgierig aber waren wir auch nie wie heute.
So satt waren wir noch nie wie heute – so unersättlich waren wir aber auch nie wie heute.
So versichert waren wir nie wie heute – so unsicher aber waren wir noch nie wie heute.
So viel Zeit hatten wir noch nie wie heute – so gelangweilt aber waren wir noch nie wie heute.

Wir sagen zwar oft, ohne viel nachzudenken: „Gott sei Dank“. Vielleicht müssen wir diesen Spruch einmal umdrehen und sagen "Dank sei Gott", um stärker an eine Grundwahrheit erinnert zu werden: Unser ganzes Leben ist im Grunde ein verdanktes Leben – Geschenk von Gott und gleichzeitig Auftrag an uns, dafür Sorge zu tragen. Ich bin beschenkt. Ich bin mir gegeben – ein unverdientes Geschenk.

Das Erntedankfest erinnert uns daran, führt uns auf den Boden der Realität zurück. Gott, dem wir unser Sein verdanken, meint es gut mit uns. Das Erntedankfest stärkt unser Vertrauen zu Gott. Wir sind ihm dankbar.

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